Mein Leben mit James Dean (2017)
Sex mit James Dean
Da sitzt er vor dem Bahnhof auf einem Blumenkübel und sinnt ins Leere. Jungregisseur Géraud Champreux hat eine Einladung in die Normandie angenommen, um in drei Gemeinden der Region seinen neuen Film „Mein Leben mit James Dean“ vorzustellen. Bei Ankunft in Le Tréport wird ihm sogleich das Handy geklaut, der versprochene Empfang durch die Leiterin des regionalen Kulturbüros bleibt aus. Also beginnt Géraud das Hafenstädtchen und seine Bewohner auf eigene Faust zu erkunden – in der für schwule Storylines fast schon obligatorischen Mischung aus Sich-Durchschlagen und Sich-Treibenlassen.
Johnny Rasse legt Géraud als klassischen Sad Young Man an, inklusive sattsam bekanntem Hadern und Zaudern in allen Lebens- und Liebesdingen. Allein die protzig am Handgelenk zur Schau gestellte Rolex will nicht so recht zum schüchternen Charakter passen. Und dieser Mann soll Regisseur sein? Im Vergleich dazu sind die Tréportais weitaus liebenswerter in Szene gesetzt: Sei es der hochgewachsene Filmvorführer Balthazar, der sich Hals über Kopf in Géraud verliebt, sei es die mit ihren Schauspielambitionen ringende Hotelangestellte Gladys, sei es die Kulturagentin Sylvia van den Rood, die ihre große Liebe nicht mit dem lokalen Immobilienhändler teilen will und sie kurzerhand in ihre Gewalt bringt.
Natürlich handelt es sich bei Gérauds Filmprojekt um einen klassischen MacGuffin. Dennoch: Die Ausschnitte, die man als Film im Film zu sehen bekommt, führen französisches Arthaus-Kino der Marke Ozon auf herrliche Weise ad absurdum. Vor dekorativen Stofftapeten erkunden zwei jugendliche Einbrecher ein verlassenes Haus. Türen werden aufgestoßen, Treppen erklommen, Posen eingenommen. Die grellen Oberteile, in denen die beiden stecken, fallen alsbald. Von dem titelgebenden James Dean dagegen weit und breit keine Spur … „Es ist ein bisschen speziell“, entschuldigt Géraud sein Werk bei dem irritierten Balthazar.
Wo immer sich Konflikte anbahnen, flüchtet sich diese Komödie auf die Seite der Poesie und lässt jeglichen Realismus fahren. Statt des rebellischen Prinzips Dean bedient Dominique Choisy lieber das verträumte Prinzip Amélie. Die Verfolgungsjagden der Protagonisten durch menschenleere Gassen, unterlegt mit dem Akustik-Soundtrack von Singer-Songwriter Bertrand Belin, sind humorvoll und herzerwärmend. Doch der mutige Griff in die Trickkiste des magischen Realismus geht in die Hose: Gérauds Alter Ego und Fantasiefreund James Dean erinnert, als Marionette auch für den Zuschauer sichtbar geworden, unfreiwillig an Chucky, die Mörderpuppe.
So bleibt es letztlich dem konkreten Setting an der Küste der Normandie überlassen, Choisys Erzählung in der Realität zu verankern. Und das gelingt, ausgestattet mit entsprechenden Fördermitteln aus der Region, auch wunderbar. Mal geraten die wuchtigen Kreidefelsen bei Le Tréport in den Blick, mal schält sich der historische Leuchtturm an der Mole aus dem Hintergrund heraus. Zwischen den Sehenswürdigkeiten erblickt das Auge des Protagonisten immer wieder einsame Männer: Einheimische Fischer, Migranten, nach Liebe Suchende. Am Ende, wenn sich alles in Wohlgefallen auflöst, hat man das Gefühl, einen bezaubernden, aber auch harmlosen Film gesehen zu haben. James Dean wird man an der Küste der Normandie vergeblich suchen. Aber der nächste Urlaub dahin ist gebucht.
QUEERfaktor: 8 | BUNNYfaktor: 6