lgbTVSCAN 2023: LGBT-Sichtbarkeit im Fernsehen, Kino, Heimkino und Streaming
2023 war ein erfreuliches Jahr für queere Präsenz in deutschen Medien. Es wurden mehrere Höchststände erreicht, aber LGBT-Themen bleiben weiterhin unterrepräsentiert. Der Vergleichbarkeit zwischen den verschiedenen Veröffentlichungsformen wegen waren Produktionen in Spielfilmlängen Gegenstand der Studie. Der LGBT-Anteil im Kino und Heimkino wurde bereits in einem anderen Artikel besprochen. Im Fokus stehen Ausstrahlungen im linearen Fernsehen.
Johannes Jarchow | 2. März 2024
Im letzten Jahr wurden im TV über 15.000 Filme und Serienepisoden mit einer Laufzeit von 90 Minuten ausgestrahlt. 760 davon hatten mindestens eine für die Handlung relevante LGBT-Figur. Damit beträgt die Queerfilmquote 4,9 %. Wir sehen hier seit Jahren eine positive Entwicklung. 2022 lag der Anteil bei 3,7 %, 2021 bei gerade einmal 2,4 %. Im Vergleich zu Veröffentlichungen im Kino (10,7 %), auf DVD/Blu-Ray (6,8 %), bei Netflix (6,7 %, mit Serien: 12,7 %) und Amazon Prime (7,4 %; mit Serien: 11,0 %) blieb das deutsche Fernsehen immer noch das am wenigsten diverse Langfilm-Medium.
Dabei gibt es erwartungsgemäß ein großes Gefälle zwischen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den Privatsendern. In den ersten, zweiten und dritten Programmen hatten 2023 knapp 550 Dokumentar- und Spielfilme schwul-lesbische Themen. Auffällig ist der stark gestiegene Anteil von RBB - auch außerhalb der LGBT-Reihe RBB Queer. Schlusslicht waren MDR und 3sat.
Im Privatfernsehen waren etwas über 210 Filme queer. Die meisten von ihnen liefen bei Tele 5 und dem Frauensender sixx. Nitro und Pro7 MAXX wollten ihre Zuschauer nicht mit allzu viel Diversität überfordern.
Die beste Sendezeit, die sogenannte Primetime von 20:15 Uhr bis 22:00 Uhr, blieb weiterhin heteronormativ dominiert. Gerade einmal 0,9 % der Produktionen verhandelten eine queere Thematik. Das sind nur 0,2 % mehr als im Jahr zuvor.
Den höchsten LGBT-Anteil hatten dabei arte und RBB Fernsehen und erneut sixx und Tele 5. Pro7 MAXX war der einzige Sender ohne einen Queerfilm in der Primetime.
LGBT-Protagonist:innen kamen 2023 in 112 Spielfilmen und Dokumentationen vor. Der Anteil beträgt 0,7 % und ist identisch mit dem Ergebnis von 2022. RBB Fernsehen und arte kommen von allen Sendern auf die höchste Anzahl. Das ZDF, im letzten Jahr Marktführer in Deutschland, blieb seiner konservativen Linie treu und fällt in dieser Kategorie weit zurück. Das Erste hatte mehr als doppelt so viele Filme mit queerer Hauptthematik im Programm.
Fünf der untersuchten Privatsender hatten gar keine queere Hauptthematik in ihren Programmen. sixx strahlte wie in den letzten Jahren die meisten LGBT-Filme aus.
Der größte Teil der LGBT-Produktionen waren Wiederholungen. Das US-Drama GREEN BOOK wurde 2023 von der ARD und den Dritten achtmal, der TV-Film VERLIEBT IN AMSTERDAM siebenmal ausgestrahlt. Nur 26 Filme liefen zum ersten Mal im Fernsehen (+ 8 im Vergleich zu 2022), einer davon bei einem privaten TV-Sender. Vor allem die Queerfilmreihen von RBB und BR, sowie das Programm von arte hatten einen großen Anteil. Die Mehrheit der untersuchten Kanäle verzichtete auf Erstausstrahlungen.
Wie in den Jahren zuvor waren die öffentlich-rechtlichen Sender deutlich diverser als das Privatfernsehen. Den höchsten LGBT-Anteil erreichten Tele 5, sixx & Co bei allen Queerfilmen. Das größte Missverhältnis gab es bei den Erstausstrahlungen mit queerer Haupthematik.
Das deutsche Fernsehen entwickelt sich in eine positive Richtung, was den LGBT-Anteil der Langfilme angeht. Es bleibt aber signifikant hinter anderen Veröffentlichungsformen zurück. Im Kino werden doppelt so viele queere Produktionen gezeigt. Besonders die Privatsender, aber auch einige Dritte wie HR, SWR und der reichweitenstärkste Mitteldeutscher Rundfunk in den AfD-Hochburgen Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, ziehen die Queerfilmquote nach unten.
Die wichtige, aber extrem unterrepräsentierte Primetime und die Anzahl der Erstausstrahlungen verharren auf einem niedrigen Niveau. Dass viele LGBT-Produktionen aus dem Ausland nicht synchronisiert sind und deshalb nicht zur besten Sendezeit laufen, ist vielleicht noch nachvollziehbar. Aber auch deutschsprachige Premieren wie BOOKSMART (22:25 Uhr), ALBERT NOBBS (16:00 Uhr), IN DEN BESTEN HÄNDEN (23:30 Uhr), CHARLATAN (0:25 Uhr) und VITA & VIRGINIA (23:15 Uhr) wurden in den letzten Monaten zur Schlafenszeit oder auf Sendern ohne relevante Reichweite wie One ausgestrahlt. Den Sprung in die Primetime schafften allenfalls die wenigen queeren Eigenproduktionen wie MEINE FREUNDIN VOLKER und EINFACH NINA sowie Filme mit schwulen, lesbischen, bisexuellen oder transidenten Nebenfiguren.
Wir brauchen mehr Sichtbarkeit von Menschen außerhalb der Norm, gerade in populären Medien wie Fernsehen. Und zwar dann, wenn man auch viele Zuschauer erreichen kann. In Zeiten zunehmender Trans- und Homofeindlichkeit ist dies besonders wichtig. Vorurteile und negative Einstellungen reduziert man am effektivsten durch Kontakt zu jenen, die man abwertet. Das ist in sozialpsychologischen Studien gut belegt. Fernsehen kann diesen Kontakt herstellen. Dies passiert zu wenig, wie die Ergebnisse dieser und anderer Medienstudien offenlegen.